Vince

Vince

Da hing er nun und schaute in eine Welt, die er nicht verstand. Er, der er bunte Farben liebte, sah nun in einen leeren Raum – vornehmlich weiß. Ein paar schöne Bilder zierten die Wände, aber sie waren so weit entfernt, dass er sie nicht genau betrachten konnte. Manchmal kamen Menschen, gingen an ihm vorbei ohne ihn wirklich zu sehen, und wenn er sie ansprach, antworteten sie nicht. Die Zeit verrann und langsam verzweifelte er. Seine Gedanken drehten sich in seinem Kopf und konnten nicht hinaus. Nachts, wenn es dunkel war, fand er es vertrauter, aber doch nicht so, wie die lichten, sternenklaren Nächte in seinem Heim.
Er erinnerte sich doch genau – an alles. Nur nicht daran, wie er hierher kam.


Er hatte mit Joseph gearbeitet, mit ihm und den Kindern, und er hatte auf seinen Freund gewartet. Paul hatte versprochen zu kommen und Vince freute sich wie ein kleiner Bub. Paul würde ihn verstehen. Er war fast wie ein Bruder für ihn – und doch kein Vergleich mit Theo. Aber wenn er an Theo dachte, dann wurde ihm schlecht. Er hatte ihm versprochen in den Süden zu gehen und für ihn zu arbeiten, aber er blieb hier. Diese Arbeit gefiel ihm besser. Viel besser! Und Paul würde sie auch gefallen, da war er sicher. Er stellte die Sonnenblumen in das Zimmer, das er für Paul vorbereitet hatte. Hier fühlte er sich mehr daheim, als sonstwo in seinem Leben – hier in seinem gelben Haus.

Dabei war er doch gar nicht mehr in seinem Haus. Er hing in einem leeren Saal und sein Kopf schmerzte. Wie war er nur hierhergekommen? Verdammt, es musste ihm doch einfallen. Er zermarterte sein Hirn.

Es war abends gewesen und er hatte das wunderbar weiche Licht bewundert. Nach dem Abendessen wollte er mit Joseph noch einen trinken. Er hatte Hunger gehabt, aber nur eine Zwiebel und ein Stück altes Brot gefunden. Sein Bruder hatte recht. Er taugte nicht fürs Leben. Aber dann war Paul gekommen und sie arbeiteten wie verrückt. Es war die beste Zeit seines Lebens gewesen, die produktivste. Paul war großartig und sie schufteten und tranken zusammen, sie vergaßen das Essen. Nur manchmal war es schlimm! Dann tobte Paul und brüllte herum, und er schrie zurück. Dabei liebte er ihn doch. Er bewunderte ihn.

Aber nun war Paul fort. Wohin? War er auch irgendwo und wusste nicht, wie er dahingekommen war? Genauso wie er?

Vielleicht war er auch wieder zurück in die Karibik. Vor allem die willigen, jungen Frauen hatten ihm gefallen. Er hatte oft davon gesprochen, aber auch von seinem Gott, der ihn dafür verdammen würde. Pauls Sucht nach nackter Haut würde ihn nochmal umbringen, das wusste Vince. Aber wenn er das sagte, dann explodierte Paul und schlug um sich. Sogar Joseph hatte es mit der Angst bekommen und hatte an diesem einen Abend fluchtartig das gelbe Haus verlassen. Später hatte sein Freund sich aber wieder beruhigt. Er hatte ihm sogar versprochen morgen mit zur Brücke zu gehen, zu den Booten und den Obstgärten, aber dann hatten sie zusammen gezecht, denn Paul hatte seinen Absinth-Vorrat gefunden und ihn lautstark beschimpft, „la fée verte“ nur für sich alleine zu wollen, und so hatte er nachgegeben. Sie hatten die drei Flaschen komplett geleert, aber er hatte ja nur eine Zwiebel und ein Stück altes Brot gehabt.

Und nun hing er hier und war hungrig, und sein Kopf tat ihm weh. Er sollte das Trinken lassen! Wenn er das alles nur verstehen könnte! Der Schmerz wurde immer stärker und konzertierte sich vor allem an der linken Seite.

Und plötzlich tropfte Blut aus dem Bild.

© Claire